F. Zimmer: Hydroelektrische Projektionen

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Titel
Hydroelektrische Projektionen. Eine Emotionsgeschichte der Wasserkraft im Industriefilm


Autor(en)
Zimmer, Fabian
Erschienen
Göttingen 2022: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
422 S.
von
Sebastian De Pretto, Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte, Universität Bern

Fabian Zimmer nimmt die Leser:innen seines Buches auf eine tiefgründige Erkundung der Emotionsgeschichte der Wasserkraft im Industriefilm mit. Die Grundlage bildet hierzu seine 2020 am Rachel Carson Center der Universität München eingereichte Dissertation. Um der Frage nachzugehen, wie Wasserkraftunternehmen in den von ihnen produzierten Industriefilmen über Narrative bestimmte Gefühle übermittelten und somit die öffentliche Wahrnehmung gegenüber ihren Grossbauprojekten beeinflussen wollten, führt er eine transnationale Vergleichsstudie durch. Anhand einer breiten Auswahl an Filmen der Électricité de France (EDF), der schwedischen Vattenfall sowie der Bayerischen Wasserkraftwerke AG (BAWAG) analysiert Zimmer deren Emotionsmanagement im Zeitalter der europäischen Hochmoderne nach 1945. Drei Leitfragen interessieren ihn dabei: Erstens geht es um den historischen Hintergrund der regen Filmproduktion der drei Unternehmen in den 1950er-Jahren. Weshalb zeigten sie sich damals dermassen produktiv? Zweitens erfolgt eine emotionshistorische Analyse der hydroelektrischen Projektionen zusammen mit einer Betrachtung der daran gebundenen Kommunikationsstrategien. Drittens reflektiert Zimmer die Erkenntnisse seiner Fallstudien vor einem breiteren historischen Kontext, indem er aus diesen die Funktion von Emotionen für Technikdiskurse der Moderne ermittelt.

Die erste Frage beantwortet Zimmer damit, dass die zunehmende Produktion von Wasserkraftfilmen aufgrund des rasanten Ausbaus der Hydroenergie in Zentral- und Nordeuropa erfolgte. Für den Wiederaufbau der späten 1940er-Jahre sowie den Übergang zur Konsumgesellschaft der 1950er-Jahre benötigten Frankreich, Bayern und Schweden dringend Energie, die sie aufgrund knapper Kohlereserven aus den Quellen und Flüssen ihrer Bergregionen gewinnen wollten. Die durch den Marshallplan gesprochenen Kredite lieferten hierfür das erforderliche Finanzkapital. Allerdings stiessen die Ausbaupläne sowohl der EDF als auch der BAWAG und der Vattenfall auf zivilgesellschaftlichen Widerstand, weshalb sie ihre Hydroprojekte mit Filmen öffentlich rechtfertigen und bewerben wollten.

Für seine zweite Frage macht Zimmer im Satteljahrzent der 1950er-Jahre einen grundlegenden Wandel im Emotionsmanagement der Wasserkraftfilme aus. Zuvor erkennt er in der Kommunikationsstrategie aller drei Unternehmen das von der Geschichtswissenschaft schon länger herausgearbeitete «Standardnarrativ» der Wasserkraft, dessen «hydroelektrisches Versprechen» darin lag, öffentlich ein nationales Industrie- und Wirtschaftswachstum jenseits fossiler Energieträger anzukündigen. Staumauern und Laufwasserkraftwerke sollten eine saubere Alternative zu den rauchenden Schornsteinen der ersten Industrialisierung bieten, wovon Hydrauliker schon im späten 19. Jahrhundert geträumt hatten. Vor dem Hintergrund der Krisenerfahrung der beiden Weltkriege und der unsicheren Nachkriegszeit mit ihrem drohenden Energiemangel, entfalteten solche Erzählungen in den Industriefilmen eine neue Wirkmacht. Den Wandel dieses Narratives stellt Zimmer in Bayern und Schweden fest, wo Natur- und Heimatschützer gegen geplante Wasserkraftwerke und den Verlust der von ihnen ästhetisch geschätzten Landschaften vorgingen. Dagegen bemühten sich die BAWAG und die Vattenfall um ein Greenwashing avant la lettre, bei welchem sie ihre Stauseen als neue Naturschönheiten oder touristische Ausflugsziele anpriesen. Darüber hinaus brachte der Wasserkraftausbau schwerwiegende Folgen für die in den Einzugsgebieten lebenden Menschen mit sich, was besonders in Schweden Widerstand hervorrief. Vattenfall inszenierte sich hierzu zwar als eine umsichtige Infrastrukturplanerin, die angeblich auf gleicher Augenhöhe mit der Landbevölkerung agierte. Den Landraub am indigenen Volk der Sàmi blendete das Unternehmen hingegen konsequent aus.

Zum dritten Aspekt seiner Untersuchung zieht Zimmer aufgrund des naturschützerischen und zivilgesellschaftlichen Emotionsmanagements der Wasserkraftfilme den Schluss, dass die technokratische Hochmoderne in den 1950er-Jahren nicht überall mit einem unhinterfragten Technik- und Fortschrittsoptimismus einherging. Kritische und ambivalente Diskurse um die sozionaturalen Folgen von Grosstechnologien gehörten ebenso dazu, obschon sie die Stromunternehmen cineastisch in ein für sie vorteilhaftes Licht zu rücken versuchten. Allerdings stellt Zimmer schon allein für Frankreich fest, dass sich die EDF kaum um die von ihren Kraftwerksanlagen verursachten Schäden und Verluste kümmerte. Schweift der Blick weiter auf Italien, wo 1963 bei Vajont eine vermeidbare Flutkatastrophe eine ganze Talschaft auslöschte oder auf die Schweiz, wo bis 1968 trotz Referendum ein Stausee im Schweizerischen Nationalpark entstand, zeigt sich, dass soziale oder ökologische Bedenken gegen die Hydroenergie damals noch nirgends in den Alpen Mehrheiten mobilisierten. Auf einen solch umfangreichen alpinhistorischen Kontext geht Zimmer jedoch nicht ein, da sich dieser im Rahmen einer Dissertation wohl kaum abschliessend erfassen lässt. Studien beispielsweise zur Filmpropaganda der italienischen Hydroindustrie bieten daher ein vielversprechendes Anschlusspotenzial.

Zimmer legt in seinem Buch eindrucksvoll dar, wie Stromunternehmen in Frankreich, Schweden und Bayern versuchten, über Filme die ihnen genehmen Emotionen zu fördern und zu lenken. Gerade in demokratischen Diskursen um die öffentliche Akzeptanz gesellschaftsrelevanter Grosstechnologien erweisen sich Emotionen und deren Management somit als zentral. Das Buch stützt sich auf einen innovativen Quellenkorpus sowie auf eine beeindruckend breite Basis an Forschungsliteratur aus der Technik-, Infrastruktur-, und Energiegeschichte, die Zimmer geschickt mit dem Feld der Emotionsgeschichte verknüpft. Ihm ist eine auch sprachlich hervorragend verfasste Forschungsleistung gelungen, dank derer die Wasserkrafthistorie der Moderne ein aufschlussreiches Kapitel dazugewonnen hat.

Zitierweise:
De Pretto, Sebastian: Rezension zu: Zimmer, Fabian: Hydroelektrische Projektionen. Eine Emotionsgeschichte der Wasserkraft im Industriefilm, Göttingen: Wallstein, 2022. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(2), 2023, S. 233-235. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00127>.

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